OLIVER MÖLLER | SCHAUSPIELER DURCH UND DURCH
Foto: Birgit Hupfeld

Interview: Petersen

Fotos: Max Sonnenschein, Birgit Hupfeld

Foto: Max Sonnenschein

OLIVER MÖLLER | SCHAUSPIELER DURCH UND DURCH

Oliver ist der Prototyp des klassischen Bühnenschauspielers. Er taucht tief in seine Rollen ein, und er lebt diese mit einer erwärmenden Frische auf der Bühne, so dass man ihm seine Darstellung in jeder Sekunde abnimmt. Geboren 1976 in Groß- Gerau, studierte Möller Schauspiel am Mozarteum in Salzburg und an der Folkwang-Hochschule Essen. 2001 wurde er von Dieter Dorn ans Bayerische Staatsschauspiel engagiert. 2005 wechselte er von dort mit Elmar Goerden ans Schauspielhaus Bochum. Aktuell spielt er am Bochumer Schauspielhaus und am Prinz-Regent-Theater. Wir trafen den sympathischen Ruhrpott-Jungen zum Interview.

Herr Möller, fangen wir mal ganz vorne an. Wann haben Sie das Künstlerische in sich entdeckt?
Mit 14, 15 war ich Schlagzeuger in einer Punkband. Wir hießen „Total Verseucht“ und hatten vier Wochen nach unserer Gründung die ersten Auftritte. Da habe ich gemerkt, dass ich auf der Bühne eine ungeheure Freiheit verspüre, dass ich mich da einfacher und besser artikulieren kann als im „echten“ Leben; es war aufgekratzt und schweißtreibend, und seitdem hat es mich immer wieder dorthin gezogen.

Gab es einen besonderen Moment, ein Theaterstück oder einen Film oder ein Erlebnis im Freundeskreis, das Sie dazu bewegte, zu sagen: Ich möchte Schauspieler werden?
Als Kind war ich bei einem frühen Halloween-Event auf der Burg Frankenstein. Da lief ein Darsteller als Frankensteins Monster herum und hat die Leute angepackt, geschüttelt und wahnsinnig erschreckt. Das hat mich beeindruckt. Ich hatte schon früh eine Vorliebe für Monster und Vampire in abgefahrenen Kostümen. Der „fantastische Film“ im ZDF hat sein Übriges getan – ich wollte lange Zeit so sein wie Christopher Lee in „Dracula“. Die Entscheidung, ans Theater zu gehen, habe ich aber erst kurz vor dem Schulabschluss gefasst – als klar war, dass ich als Punkschlagzeuger nicht meinen Lebensunterhalt würde verdienen können ... Da hatte ich aber bereits das Glück gehabt, auf einen herzlichen Deutschlehrer zu treffen, der mir die Kraft, auch die Sprengkraft von Literatur radikal gezeigt hatte.

Sie sind ja ein richtiger Pott-Junge und haben an der Folkwang-Hochschule in Essen studiert. War Essen sofort die erste Wahl für Sie?
Mein Vater ist in Dortmund aufgewachsen, und meine Oma hat, bis ich 7, 8 war, im Revier gewohnt. Schwarze Häuserfassaden, Fördertürme und ausrangierte Loren auf Kinderspielplätzen sind also ein Bild meiner frühen Kindheit. Nach Essen bin ich aber erst nach einem Jahr Schauspielstudium in Salzburg gewechselt – einer Liebschaft wegen, aber auch, weil ich Salzburg als Stadt unerträglich fand; das Erhebendste waren noch die Marmortafeln mit Georg- Trakl-Gedichten hie und da.

Viele Kolleginnen und Kollegen von Ihnen haben es schwer, obwohl sie tolle Qualitäten haben. Für Sie ging es direkt an das Bayerische Staatsschauspiel, und der spätere Bochumer Intendant Elmar Goerden nahm Sie 2005 mit nach Bochum ins Schauspielhaus, von 2011 bis 2016 waren Sie am Münchner Volkstheater, danach kamen zahlreiche Top-Theater. Es gehört nicht nur Fleiß, sondern auch Glück dazu, damit es läuft, oder ?
Absolut! Glücklicherweise hat mich eine inzwischen leider verstorbene Dozentin zu einem Vorsprechen für das Bayerische Staatsschauspiel empfohlen, und glücklicherweise wurde dort gerade ein Typ in meinem Alter gesucht, und glücklicherweise sollte der vom Charakter und von dem Umgang mit Theatertexten her auch so drauf sein wie ich. Das war eine Kette glücklicher Zufälle, und so ging und geht das oft immer weiter.

Aktuell spielen Sie auch am Bochumer Prinz-Regent-Theater. War oder ist „Faust“ ein Stoff, der Ihren Vorstellungen eines klassischen Theaterstoffes schon sehr nahekommt?
„Faust“ begleitet mich seit meiner Schulzeit. Die Story ist schon irre: Ein Intellektueller in der Midlife-Crisis lässt sich vom Teufel verjüngen, verführt und schwängert eine Minderjährige, vergiftet deren Mutter, erdolcht den Bruder und lässt das Mädchen, nachdem sie das gemeinsame Kind gemeuchelt hat, im Kerker verrotten – alles unter dem Deckmantel der Suche nach dem Sinn des Lebens. Die Sprache ist natürlich überwältigend, auch wenn einem die Knittelverse irgendwann auf die Nerven gehen. Trotzdem – ein tolles, weil vielfach deutbares Stück. Mein Lieblings- Goethe ist allerdings „Torquato Tasso“, der nervlich zerrüttete Künstler im Mühlwerk der profanen Politik.

Wenn man sich ihre Vita anschaut, bekommt den Eindruck vermittelt, dass Sie in der glücklichen Lage sind, Rollen abzulehnen. Täusche ich mich? Aber vor allem, was macht einen guten Stoff für Sie aus?
Das Schöne am Freiarbeiten ist, dass du für spezielle Rollen angefragt wirst, bei denen das Regie-Team schon eine gewisse Phantasie mit dir hat. Man fühlt sich immer gemeint als Spieler, als Person; ich habe insofern jede Inszenierung als Freischaffender sehr gern gespielt. Wenn ich was abgelehnt habe, dann hatte das meist logistische Gründe – das Theater war zu weit weg, oder es gab Überschneidungen mit anderen Projekten. Mich interessiert zuvörderst die literarische Qualität eines Stoffes. Um auf „Tasso“ zurückzukommen – so einen Satz wie „Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt, gab mir ein Gott zu sagen, was ich leide“ sprechen zu dürfen, das ist schon ein gewaltiges Geschenk. Außerdem ist mir das Ensemble bei Projekten wichtig; ich will ja auch mit coolen Leuten eine dufte Zeit verbringen.

Wann ist eine Produktion für Sie erfolgreich, abgesehen von den Zuschauerzahlen?
Wenn die Zuschauenden aus einer Vorstellung kommen, sich ein Pils oder einen Wein ordern und anfangen zu reden, zu diskutieren, was sie da gesehen und gehört haben. Untereinander, aber auch mit den Spielern, mit der Regie. Wenn die Leute anfangen nachzudenken, über den Stoff, über das gezeigte Leben, über ihr eigenes Leben. Und die Spieler sollten natürlich auch gerne zur Vorstellung gehen – wenn die Vorstellung für die Beteiligten eine Party, mitunter auch eine heftige, schweißtreibende Party ist, dann ist alles gut.

Gibt es überhaupt den perfekten Stoff für einen Schauspieler?
Es gab immer wieder mal Rollen, bei denen ich mir gedacht habe : Mensch, das sind ja Texte wie für mich geschrieben. Das bin ja genau ich. Da haben mir die Proben unglaublich viel Freude, auch anstrengende Freude gemacht. Wenn dann noch die Regie genau die Schnittmenge zwischen ge-. schriebener Rolle und meiner Person erkannt und befördert hat, dann war das schon ein großes Glück. Insofern: ja, gibt‘s. Schillers „Räuber“, Ibsens „Gespenster“, Lorcas „Bluthochzeit“ könnte ich nennen. Und: „Tasso“.

Sie haben viele Theater gesehen. Wir wollen andere gar nicht bewerten, aber was schätzen Sie an den Häusern in Bochum?
Das vielgerühmte Bochumer Publikum ist tatsächlich großartig; die Leute interessieren sich für die unterschiedlichsten Stoffe, stehen nach der Vorstellung noch mit einem Kaltgetränk zusammen und diskutieren, auch mit den Schauspieler/innen, was sie da gesehen und erlebt haben. Die Bühnen selbst haben, von Schauspielhaus bis ROTTSTR5, eine gewisse Handfestigkeit, alle packen mit an, es gibt wenig Berührungsängste zwischen den Abteilungen. Wenn im ZEITMAULTheater die Vorstellung losgeht, dreht der Theaterleiter persönlich die Glühbirne aus der Fassung, damit der Zuschauerraum dunkel wird – das hat eine große Magie. Nicht zu vergessen die speziellen Orte der Bühne: das Prinz-Regent-Theater in einer ehemaligen Waschkaue, das ZEITMAUL in einer Kapelle, die ROTTSTR5 unter den Gleisen; und die Nierentisch-Ästhetik des Schauspielhauses ist ohnehin unschlagbar.

Fernsehen oder Bühne, was bedeutet Ihnen mehr oder hat beides seine Reize?
Im Film muss man auf den Punkt präsent sein, eher zurückhaltend und realistisch agieren; auf der Bühne ist eher das überhitzte und expressive Spiel gefragt. Das Theater hat mit Shakespeare, Kleist und Büchner die besseren Texte, dafür hat das Fernsehen, vor allem in Zeiten von Serien und Mini-Serie, oft die komplexeren Plots. Im Theater mag ich den langen Atem, den Schweiß, die Kantine, die Aufregung und die Flachsereien hinter der Bühne, das Spontane. Beim Fernsehen fasziniert mich die Genauigkeit im Spiel – ein Blick, ein Handgriff, ein Ausatmen ...

Würden Sie uns noch teilhaben lassen, wo wir Sie demnächst (außer in „Faust“) noch in Bochum oder in der Nähe sehen dürfen?
Am Schauspielhaus spiele ich derzeit „Sherlock Holmes“, und am Prinz-Regent bin ich in „Moby Dick“ zu sehen. Außerdem mische ich Anfang März wieder an der Seite von Thomas Anzenhofer in „A Tribute to Johnny Cash“ mit. Wir spielen drei Shows im Musikforum – auch so eine Glücksgeschichte. Wir hatten 2008 Premiere, und das Bochumer Publikum hat glücklicherweise Lust darauf, uns mittlerweile 15 Jahre lang zuzuhören.

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