bochum macht spaß
Bowie, Bochum, Berlin
Ein Gespräch mit der Bochumer Autorin Anja Liedtke
Frau Liedtke, wann sind Sie mit dem Schreiben erstmals auf professioneller Ebene in Berührung gekommen und was war der persönliche Grund dafür?
1996 bzw. 2000 bin ich mit dem Schreiben auf professioneller Ebene in Berührung gekommen. Im Wintersemester 1994/95 war ich als Lektorin für Deutsch als Fremdsprache an der Tongji-Universität in Shanghai tätig. Das war meine erste Berührung mit China. Den Kulturschock verarbeitete ich, indem ich Briefe, ein Tagebuch und schließlich eine 130 Seiten lange Reiseerzählung schrieb. Aus diesen 130 Seiten koppelte ich acht Stück aus, um mich damit um den Bettina-von-Arnim-Literaturpreis zu bewerben. In der Jury saß Bodo Kirchhoff, der wählte meinen Text aus. In der Jury saß auch Ingrid Noll, die bot mir an, dass wenn ich einmal ein Romanmanuskript fertig hätte, ich es ihr schicken dürfte. Das machte ich. Sie beglückwünschte mich zu dem Manuskript und empfahl es dem Argument-Verlag in Hamburg. Dort wurde »Grün Gelb Rot. Ein Heimatroman« 2000 veröffentlicht.
Erzählen Sie uns etwas über Ihren neuen Roman »Schwimmen wie ein Delfin oder Bowies Butler«. Wieso David Bowie und war sein Tod Anfang 2016 Anlass für das Buch?
Nein, David Bowies Tod war nicht der Anlass den Roman zu schreiben, sondern das alte Manuskript wieder zu lesen, zu überarbeiten und dem Asso-Verlag anzubieten. Der Roman hat viele Fassungen erlebt. Angefangen hatte ich mit dem Schreiben schon etwa zu der Zeit meiner Promotion 1993. Anlässe hat es drei gegeben: Ich war 15 oder 16 Jahre alt, als mir mein erster Freund seine Kopfhörer aufsetzte und sagte: »Hör mal!« Ich hörte zum ersten Mal Rock/Pop-Songs, bei denen es nicht bloß um Liebe und Herzleid ging, vielmehr hörte ich hochintelligente Texte und ich hörte eine eindringliche Stimme. Es schien, als wollte sie mir etwas erzählen. Mein Freund nahm mich mit auf mein erstes Rockkonzert, das war zugleich auch mein erster Besuch in einem Fußballstadion, David Bowie im Bochumer Ruhrstadion 1983. Im Roman wird ein Konzert 1984 erwähnt, denn die Heimatstadt meiner Hauptfigur Alex ist nicht Bochum und 1984 ist ein Hinweis auf den Roman von George Orwell, aus dem Bowie einmal ein Musical hatte machen wollen. Der Besuch im Stadion war für mich ein emotionales Hin und Her. Das Konzert fand ich toll, aber ich betrachtete auch 30.000 Menschen, die da auf ein Idol warteten, gleichsam auf einen Heiland, der sie - wenigstens für einige Stunden - aus ihrem Leben befreien sollte. Mich erinnerte das an Nazi-Aufmärsche, vielleicht deshalb, weil wir das Thema gerade in der Schule hatten. Jedenfalls regten die vielen Eindrücke damals mächtig meine Fantasie an.
Sie lassen nicht nur viel Biografisches von Bowie in die unterhaltsame Geschichte mit einfliessen, sondern Sie zitieren auch Queen, die Stones, Deep Purple und natürlich Herbert Grönemeyer. Ist das Ihre Musik oder ergab sich das aus dem Schreiben heraus?
Das ist meine Musik. Das Schreiben ergab sich eher aus der Musik statt umgekehrt. Wenn ich an Grönemeyer denke, dann sehe ich mich in den 80-er Jahren in meinem orangefarbenen Opel Kadett über die Markstraße fahren. Ich komme gerade von der Erich-Kästner-Gesamtschule, meine ebenfalls orangefarbenen, hennagefärbten Haare wehen aus dem Fenster heraus, ebenso die Fransen meiner Lederjacke. Bei Deep Purple erwachte mein Rebellentum. Bei Pink Floyd wuchs der Wunsch zur Revolution.
Ihre Protagonistin Alex ist ein selbstbewusster Mensch, der klug, schlagfertig, schüchtern, nachdenklich und kokett auftritt. Wie viel in dieser Figur ist von Ihnen?
Herzlich wenig. Wenn ich mich mit ihr vergleichen soll: An manchen Stellen beneide ich sie um ihre Lösungsansätze, an anderen Stellen finde ich Alex unmöglich. Sie ist ein ambivalenter Charakter.
Sie haben bereits zwei Theaterstücke geschrieben, die in Bochum umgesetzt wurden. Erzählen Sie uns etwas darüber?
»Richard Gloster« ist eine Gemeinschaftsproduktion mit dem Regisseur, Schauspieler und Autor Nathanael Ullmann. Anlässlich des Shakespeare-Jahres 2014 las ich noch einmal »Richard III.«. Schon beim Eingangsmonolog dachte ich: »Wow, in unserer heutigen Zeit wäre der Typ Lobbyist geworden.« Genau das haben wir aus ihm gemacht: einen smarten Lobbyisten, gespielt von Rico Großer, der Politiker, Gewerkschaften, Arbeitnehmer und Verbraucher auf hinreißende Weise um den Finger wickelt, um ihnen eine gesundheitsschädliche Produktionsweise zu verkaufen. Das Stück wurde vom Ensemble ToM-Theater ohne Mittel im Thealozzi und im Theater Rottstr5 aufgeführt. Das andere »Stück« ist nur eine Szene, die zusammen mit anderen Szenen der Künstlerinnengruppe GEDOK im Rahmen der Wuppertaler Literaturbiennale unter dem Motto »Utopie Heimat« aufgeführt worden ist.
Wie bewerten Sie die lokale Kulturszene? Ist diese Ihrer Ansicht nach intakt?
Ich bin kein Fachmann und weiß nicht, ob ich das beurteilen kann. Um mich herum gibt es jedenfalls eine Fülle von Kulturschaffenden, die immer nur knapp über die Runden kommen, die aber auch ganz genau wissen, wie wichtig ihr gesellschaftlicher Beitrag ist. Wer als Bürger an Kultur teilhat, versteht es eher, sich seelisch und körperlich gesund zu halten, versteht es eher, sich einen Job zu verschaffen, versteht es eher, nicht auf Andere dreinzuschlagen, sondern
zu analysieren, was und wer eigentlich Ursache seiner Aggression ist. Er versteht es eher, seine Energien positiv zu kanalisieren statt sie zerstörerisch oder selbstzerstörerisch einzusetzen. Das sind Effekte unserer lokalen wie auch globalen Kultur. Die Kulturschaffenden um mich herum machen diesen Job vorbildlich, umso trauriger bin ich, wenn ihre Anerkennung und Bezahlung nicht selbstverständlich ist und wenn der öffentlichen Hand die Gelder fehlen, die kulturellen Grundlagen unserer Gesellschaft zu finanzieren. Glücklicherweise haben wir in Bochums kulturellen Institutionen wie dem Kulturbüro, der VHS, den
Bibliotheken, im Stadtarchiv, in den (Off-)Theatern, Literaturgruppen usw. kompetente Menschen sitzen. Wir sollten als Bürger unbedingt darauf achten, dass die weiterhin mit finanziellen Mitteln ausgestattet sind und dass sie ihrerseits Einzelkünstler fördern können. Das ist ebenso wichtig, wie eine vorsorgende Medizin und die schulische und universitäre Bildung..
Vielen Dank für das Interview.
Gerne.