ANNIKE KRAHN | EINE ERFOLGSGESCHICHTE
Foto: Andreas Molatta

Text:

Maik Schönborn

Fotos:

Andreas Molatta

Foto: Andreas Molatta

Sie wurde Europameisterin, Weltmeisterin und mit der Fußballnationalmannschaft der Frauen Olympiasiegerin. Gibt es einen Bochumer Sportler, der erfolgreicher war? Vermutlich nicht. Die Bochumerin Annike Krahn lebte ihren Sport und sie liebt ihn immer noch. Sie ist dabei wie kaum ein anderer Sportler, völlig auf dem Teppich geblieben und höchst sympathisch noch dazu. Wir sprachen mit der Ausnahmefußballerin, die selbstverständlich auch glühender VfLFan ist, über ihre Erfolge und die Zeit danach.

Was hat bei ihnen damals den Virus Fußball ausgelöst? Gab es da einen ganz besonderen Moment?
Hm, das ist schon so lange her... Ein Auslöser war sicherlich, als ich mal mit mehreren Kindern der Nachbarschaft mit einem Nachbarsjungen zum Vereinstraining gegangen bin. Da hat es mir so gut gefallen, dass ich direkt im Verein geblieben bin (lacht).

Während sich Mädchen und Jungen in jungen Jahren in ihrem Umfeld vermutlich mit ganz anderen Dingen beschäftigt haben, haben sie knallhart an
ihrer sportlichen Karriere gearbeitet. Haben sie die typische Teenagerfreizeit damals auch ein wenig vermisst?
In dem Alter habe ich das nicht wirklich als knallharte Arbeit gesehen, sondern fand es super, die Möglichkeit zu haben, ständig Fußball zu spielen. Meine Freunde waren somit tendenziell meine Mitspielerinnen und wir haben auch abseits des Platzes viel Zeit miteinander verbracht und teilweise „typische“ Teenagersachen gemacht. Natürlich habe ich aber auch viele soziale Events wie Geburtstage oder sonstige Partys verpasst und das ein oder andere Mal vermisst. Die Freude am Fußballspielen und das Zusammenleben innerhalb einer Mannschaft hat diese Sachen jedoch schnell wieder aufgehoben.

Wann bemerkten Sie, dass in ihnen doch eine erhebliche Qualität steckt bzw. wer oder was gab den Ausschlag?
Als Kind nimmt man das glaube ich nicht so richtig wahr, weil man auch erstmal lernen muss, seine eigene Leistung einzuschätzen. Zu meiner Zeit waren fußballspielende Mädchen noch nicht ganz so gewöhnlich. Da hat es auf jeden Fall geholfen, vielleicht etwas mehr Talent als andere zu haben, um sich auch
gegen Vorurteile durchzusetzen. Ausschlaggebend ist die Förderung durch sein Umfeld: Meine Eltern, meine Geschwister, die oft zurückstecken mussten, aber auch meine Jugendtrainer. Ich wurde im Alter von 9 Jahren für die Kreisauswahl Bochum gesichtet. Ich glaube, der Kontakt kam über meinen Jugendtrainer, der gesagt hat: Wir haben hier ein ganz gutes Mädchen. Vielleicht kann die Kreisauswahltrainerin sie sich sie mal ansehen. Zum Glück hat meine Kreisauswahltrainerin mich dann damals gesichtet und von da an ging es dann über die Westfalenauswahl zur Juniorinnennationalmannschaft.

Wie kommt man in den jungen Jahren mit Rückschlägen, sprich Verletzungen klar?
Verletzungen passieren im Sport und gerade für junge Spielerinnen, wenn man keine Erfahrung damit hat, ist es sehr schwierig. Man muss lernen, Geduld
zu haben und auf die Experten (Physiotherapeuten, Ärzte, Eltern) zu hören, denn man will natürlich immer schnellstmöglich wieder auf den Platz. Ein gutes
Umfeld, dem man vertraut, ist das Wichtigste in so einem Moment.

Ihre Titel alle aufzuzählen würde den Rahmen sprengen und dafür gibt es das Internet. Halten wir einfach mal exemplarisch Europameisterin,
Weltmeisterin und Olympiasiegerin fest. Liege ich falsch, wenn ich behaupte, dass der Gewinn der ersten Weltmeisterschaft der Besonderste aller Titel war oder wurde dieser von dem Olympiasieg in 2016 noch einmal übertroffen, weil sie danach aus der Nationalmannschaft zurückgetreten sind?
Oh, diese Frage ist sehr schwierig zu beantworten, denn ich mache die Besonderheiten für mich an meinen persönlichen Geschichten rund um die Turniere fest und nicht ausschließlich an den Titeln. Es fällt mir schwer ein Turnier über ein anderes zu stellen, aber ich kann natürlich auch zu meiner ersten Weltmeisterschaft eine persönliche Geschichte erzählen, genauso wie zu den Olympischen Spielen 2016. Ich versuche mal kurz meine Geschichte zu erzählen. 2007 bin ich nach einer durchwachsenen Vorbereitung recht überraschend für die WM nominiert worden. Als junge Abwehrspielerin hofft man dann vielleicht ein paar Minuten im Turnierverlauf zum Einsatz zu kommen. Dann verletzt sich die 13 Jahre ältere Spielerin auf deiner Position nach dem ersten Spiel. Ich rutsche in die Startelf und spiele 5 Spiele durch und wir werden Weltmeister und das ohne Gegentor. Die Spielerin, die mir als eine der ersten gratuliert, ist die Spielerin, für die ich reingekommen bin. Sie war nach 2 Spielen wieder einsatzfähig. Ich habe während dieses Turniers so viel gelernt. Natürlich war es ein besonderes Turnier für mich. Soll ich meine Geschichte zu den Olympischen Spielen 2016 auch noch erzählen? Wahrscheinlich wird das zu viel, oder?
(lacht)

Nee, das passt schon. Machen wir mal einen Sprung nach 2012. Sie wechselten von Duisburg in die Weltmetropole Paris. Wie kam der Wechsel zustande und was fühlten sie, als sie dort zum ersten mal am Training teilnahmen?
Zunächst einmal war es wichtig, dass ich 2010  mein Studium beendet habe und somit nicht mehr standortgebunden war. Ich hatte schon vorher mit
einem Wechsel ins Ausland geliebäugelt, denn nach 8 Jahren beim FCR Duisburg hatte ich den Eindruck, mal etwas Neues sehen zu müssen. Dann kam die Anfrage von Paris und nach einiger Bedenkzeit habe ich mich für diese neue Herausforderung entschieden. 2012 wurde die Mannschaft dort professionalisiert und ich konnte von Beginn an Teil eines neuen Projektes sein. Das erste Training war sehr komisch, ich habe nichts verstanden und wollte am liebsten direkt
wieder gehen. Im Nachhinein bin ich aber froh, dass ich geblieben bin.

In Paris verlängerten sie auch ihren Vertrag um zwei Jahre. Darf man da von ihrer spannendsten Vereinszeit sprechen?
Mein 1.Vertrag dort ging 2 Jahre (2012-2014) und dann verlängerte ich nur ein Jahr. Hm, meine spannendste Vereinszeit? Es war auf jeden Fall eine sehr spannende Zeit, aber ich kann nicht sagen, dass sie spannender war, als meine 8 Jahre in Duisburg.

Wie gestaltete sich in Paris ihr Tagesablauf und was haben sie in ihrer Freizeit unternommen?
Mein Tagesablauf war bestimmt vom Training, Besprechungen, Physiotherapie, Individualtraining und Spielen. Ich war zum ersten Mal in meinem Leben
quasi Fußballprofi und muss sagen, dass mir das auf Dauer zu langweilig war. Mein Highlight der Woche war mein Französischunterricht mit meiner Lehrerin,
die keine Ahnung von Fußball hatte und das meine ich nicht ironisch. Ansonsten habe ich mich in meiner Freizeit mit Mitspielerinnen getroffen, war auch mal
in der Stadt, wobei ich mir das Thema Sightseeing für meine Besuche von Freunden und Familie aufgespart habe. Wenn du in Paris wohnst, bekommt man häufiger mal Besuch (lacht). Ansonsten war ich fast monatlich ca. eine Woche bei der Nationalmannschaft und bin viel unterwegs gewesen. In meinem dritten Jahr habe ich mir ein wenig Photoshop beigebracht. Ich hätte am liebsten ein Praktikum gemacht, doch leider war dies vom Verein nicht gewünscht.

Mir ist aufgefallen, dass sie nie eine Meisterschaft gewonnen haben, weder in Duisburg, Leverkusen, noch in Paris. Andererseits kann man mit den von ihnen erreichten Titeln nun wirklich leben. Fuchst sie das trotzdem ein ganz klein wenig? Bei ihrem Ehrgeiz könnte ich mir das zumindest vorstellen.
Natürlich will man als Sportlerin alle Meisterschaften gewinnen, doch am Ende des Tages bin ich stolz darauf, was ich mit meinen Voraussetzungen alles
erreicht habe. Von daher ist es im Zusammenhang mit meiner Karriere auch immer eine Anekdote wert (lacht herzlich).

Legen wir den Fußball mal zu den Akten. Wie geht es ihnen mit der Tatsache, endlich eine Menge Freizeit genießen zu können?
Soweit erst einmal ganz gut, wobei es anfangs schon sehr ungewohnt war, seinen Terminplan einigermaßen selbst bestimmen zu können. Sie sind Diplom-Sportwissenschaftlerin mit dem Schwerpunkt Management.

Wohin soll ihr Weg sie in Zukunft führen bzw. was haben sie mit oder durch ihre tollen Erfahrungswerte in der Zukunft vor?
Momentan absolviere ich noch einen zusätzlichen Master in Sportmanagement bei der UEFA. Meine größte Herausforderung ist dabei die englische Sprache. Den möchte ich nun erfolgreich abschließen (Ende Mai). Ansonsten arbeite ich seit ca 1,5 Jahren beim Fußball- und Leichtathletik-Verband Westfalen als Projektkoordinatorin im Bereich Amateurfußball. Dies ist für den Einstieg nach der Karriere sehr lehrreich, um das System noch besser zu verstehen. Wo mein Weg mich weiter hinführt, das weiß ich noch nicht genau. Ich kann mir Vieles vorstellen: Eine Arbeit weiterhin beim Verband, aber auch im Verein
oder bei Sportveranstaltungen als Projektleiterin. Am liebsten alles im Bereich Fußball, denn da habe ich die meiste Erfahrung. Auf Dauer möchte ich gerne auch einen Job mit Führungsaufgaben.

Unser Magazin heißt „bochum macht spaß“. Sie sind Bochumerin. Was macht ihnen an Bochum Spaß?
Bochum, ist meine Heimat, hier kenne ich mich aus und vermutlich jeden Sportplatz. Ich mag die Menschen, die Industriegeschichte und meine gewohnte Umgebung und natürlich habe ich hier auch meine Familie, meinen Freundeskreis und für mich war es vor allem während meiner Karriere dieses Heimatgefüh,l wenn ich nach Hause kam und mich einfach entspannen konnte.

Frau Krahn, das war ein tolles Interview und wir wünschen ihnen für die Zukunft weiterhin viel Erfolg.
Vielen Dank. Hat Spaß gemacht.