INTERVIEW | MICHAEL FISCHER
INTERVIEW | MICHAEL FISCHER
Michael Fischer ist in der VfL Bochum 1848 GmbH & Co. KGaA nicht nur der Abteilungsleiter für das Merchandising, sondern auch für die eSports-Abteilung des Vereins in verantwortlicher Position tätig. Seit 2017 widmet sich der VfL professionell dem eSport, damals als erster Zweitligist und fünfter deutscher Profi-Verein überhaupt. Seitdem ist der eSport beim aktuellen Fußball-Bundesligisten in der dritten Spielzeit eine Erfolgsgeschichte, auch wenn es hier dem VfL so geht wie in der 1. Fußball-Bundesliga: Es herrscht ein ständiges Kommen und Gehen der begehrtesten Spielerinnen und Spieler. Bochum macht Spaß blickt im Gespräch mit Michael Fischer hinter die Kulissen dieser boomenden Sportart – andere Länder wie etwa Südkorea sind Deutschland da nämlich um viele Nasenlängen voraus –, von der manche hierzulande behaupten, dass sie mit Sport gar nicht zu tun habe. Auch dazu hat unser Gesprächspartner eine klare Position.
Was war die Initialzündung dafür, dass der VfL Bochum 1848 auch beim Thema eSports aktiv werden wollte?
Zum damaligen Zeitpunkt war der VfL im grauen Mittelmaß der 2. Bundesliga verschwunden. Wir wollten damit medial größere Aufmerksamkeit erreichen, Sponsoren neue Möglichkeiten geben und attraktiver & cooler für die junge Zielgruppe 14-29 werden.
Kannst du bitte mal so kurz, aber hoffentlich erschöpfend wie möglich, erklären, was eSports eigentlich ist im Unterschied z. B. zum Gaming?
Gaming ist Spielen zum Spaß. eSports ist leistungsmäßiges Spielen, um sich in Wettbewerben zu messen und nach Möglichkeit der oder die beste zu werden.
Was spielen die eSports-Spielerinnen und Spieler eigentlich für Spiele in den Wettbewerben?
Beim VfL wird nur die Fußball-Simulation von EA Sports gespielt. Die hieß bislang FIFA und wird ab der kommenden Saison EA Sports FC 2023 heißen.
Gibt es, ähnlich wie die Fußball-Bundesliga, eine eSports- Liga und wo findet man den VfL dort aktuell?
National spielen wir im offiziellen Wettbewerb der DFL, der „Virtual Bundesliga Club Championship“. Dort gibt es keinen Auf- und Abstieg, sondern alle Bundesligavereine der 1. und 2. Liga werden in zwei Divisionen (Nordwest/ Südost) eingeteilt und am Ende spielen die besten sechs jeder Division in einem Grand-Final-Turnier den Meister aus. 2021 haben wir die Nordwest-Division als Meister gewonnen. In den letzten beiden Jahren sind wir mit Platz 9 und 8, aber knappen Punktabständen, an der Finalrunde gescheitert. International sind wir bei der „FIFA Club Series 2023“ hinter RB Leipzig allerdings das zweitbeste deutsche Team geworden. Im DFB ePokal stehen wir im Viertelfinale. Im Einzelwettbewerb der „Virtual Bundesliga“, wo die 24 besten deutschen Spieler im Juni den offiziellen Deutschen Meister ausspielen, sind wir im Finalturnier mit zwei Spielern vertreten.
Wie finden die „Trainingseinheiten“ der eSportlerinnen und -Sportler statt? Kann man sich das so vorstellen, dass da Nerds tage- und nächtelang eingesperrt vor ihren Bildschirmen sitzen und „zocken“?
Das ist, gelinde gesagt, Quatsch und eine mit den typischen eSports-Vorurteilen behaftete Aussage. „Nerds“ sind da nur die wenigsten. Das Vorurteil „dicke Kinder, die Cola trinkend und Chips fressend, kein Sonnenlicht sehend 24/7 zocken“ ist falsch. Damit erreicht man heute nichts mehr. Ohne körperliche Fitness bekommt man keine geistige Fitness, und die ist für erfolgreichen eSport unabdingbar. Unsere Spieler bekommen Trainingspläne von unserem Coach, die sie abarbeiten müssen, wobei sie aber auch ihre Ruhezeiten haben. Selbst bei Bootcamps, wie unsere Trainingslager heißen, ist nach acht Stunden Arbeit immer erst einmal Schluss. Ansonsten unterscheidet sich das Training nicht so sehr vom Profifußball. Abwehr, Angriff und Standards werden trainiert. Taktik und Analysen stehen über allem dabei.
Kannst du uns kurz mal einige Spielerinnen und Spieler des aktuellen VfL-eSports-Teams vorstellen?
Unser Mannschaftskapitän ist Timo Siep, ein 25-jähriger Spieler, der schon 2017 Vize-Weltmeister war. Dazu kommen in dieser Saison mit Jamie Bartel (17), Justin Springer (17) und Laurin-Noah Bartsch (20) drei junge Spieler, die von Timo unterstützt den nächsten Schritt in ihrer Entwicklung machen sollen. In unserem eigenen Nachwuchs-Leistungszentrum, dem „eTalentwerk“, haben wir mit Vinicia de Oliveira Branco unsere weibliche Spielerin und mit Julien Fungk ein absolutes Mega-Talent, der sich gerade für die deutsche Einzelmeisterschaft qualifizieren konnte.
Sind eigentlich alle VfL-eSports-Sportlerinnen und -Sportler Profis?
Nein, zurzeit ist nur Timo Siep Vollzeit-Profi. Alle anderen sind noch Schüler oder Studenten. Vinicia hat sogar noch einen Teilzeit-Job als Erzieherin. Es gibt nicht wenige Stimmen, die sagen, mit Sport habe eSports eigentlich gar nichts zu tun.
Was entgegnest du diesen Ansichten?
Wenn Schach, Bogenschießen, Sport-Schießen oder Dart die Anerkennung als Sport bekommen hat, verdient es eSports erst recht. Ob das Hilfsmittel nun ein Pfeil, ein Bogen oder eben ein Controller ist, ändert nichts.
Andere Meinungen zum eSports beklagen, dass dadurch immer mehr Menschen, junge wie alte, in die Computer- Spielsucht getrieben werden? Hat der VfL das auf dem Schirm und arbeitet in dieser Hinsicht auch präventiv?
Wir achten bei unseren Spielern immer auf Ruhezeiten. Ansonsten ist uns aus den virtuellen Fußball-Simulationen keine große, auffällige Spielsucht bekannt. Dennoch haben wir immer ein Auge darauf.
Habt ihr einen Eindruck davon, wie die Öffentlichkeit diese Sportart und das Abschneiden des VfL-eSports- Teams wahrnimmt?
Leider noch viel zu wenig. Wir müssen hier noch mehr und bessere ÖffentlichkeiFtsarbeit machen.
Wie bist du selbst zum VfL-eSports gekommen?
Ich war schon seit meiner frühesten Kindheit leidenschaftlicher Zocker, war selbst früher in der 2. Fußball- Simulation „Pro Evolution Soccer“ als Semi-Pro aktiv und habe um die Deutsche Meisterschaft mitgespielt. Als der VfL dann in den eSports einstieg, war es mir ein persönliches Anliegen, diesen Einstieg zu übernehmen und voranzutreiben.
Was ist für dich persönlich das Faszinierende an diesem Sport?
Es kann jeder dabei sein, egal wie alt, egal welches Geschlecht, welche Hautfarbe und welche Einschränkungen man auch hat. eSports ist der Sport für totale Diversität, Toleranz und Inklusion.