JOCHEN MALMSHEIMER | „DAS KLARE GEGENTEIL VON GEWALT“
Fotos: Dominic Reichenbach

Interview:

David Wienand

Fotos: Dominic Reichenbach

 

Fotos: Verlag

Beinahe sechs vollendete Lebensjahrzehnte, zwanzig Jahre kabarettistisches Schaffen, eine aktuelle Doppel- DVD mit dem vielsagenden Titel »… Fast Das Gesamtwerk« und nun Corona. Auch im Gespräch mit Bochum macht Spaß spricht Jochen Malmsheimer über diese und andere Themen, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. „Unfallfrei und varietätenreich“ beantwortet der ehemalige Gymnasium Am Ostring- Schüler, Germanistik- und Geschichte- Student an der RUB, aber als „stimm- und wortkräftiger“ (Wikipedia) Kabarettist landesweit geschätzte Bochumer, die Fragen von David Wienand. Ab und zu antwortet er auch gerne mal kurz und knackig und korrigiert noch ganz nebenbei kleinere sprachliche „Unfälle“ des Interviewers.

Wenn ich richtig recherchiert habe, dann sind 20 Jahre Soloprogramm des Jochen Malmsheimer in diesem Jahr zu feiern. Daher der Titel „..fast das Gesamtwerk“!?
Nein, das Wörtchen „fast“ soll meiner Hoffnung auf das, was da noch kommen könnte, Ausdruck verleihen. Hoffnung ist dieser Tage ein wichtiges Gut. Eine wie immer große Anzahl von Berufsjahren zu feiern, ist kindisch, schließlich ist das kein Verdienst, sondern einfach passiert...

Deuten die drei Punkte im DVD-Titel auf die anderen, weiteren Programme und künstlerischen Aktivitäten des Jochen Malmsheimer hin, also z.B. »Tresenlesen« oder die Hörbücher, die in diesem »Gesamtwerk« fehlen?
...da es „fast ein Gesamtwerk“ heißt, fehlt nichts, bis auf das, was noch kommt, wenn es denn kommt und ein Hörbuch als DVD herauszubringen ist von eher zweifelhaftem Reiz, da man ja als Hörender nur dem Sprechenden beim Sprechen zuschauen kann, was keinerlei cineastischen Gehalt besitzt.

Dann bietet sich der Rest des Gesamtwerkes doch für eine Veröffentlichung im nächsten Jahr an, wenn die Stunde des 60. Geburtstages schlägt, oder?
Ich habe mein Publikum nie mit irgendwelchen Bühnenjubiläen behelligt, unter anderem auch deshalb nicht, weil solchen Jubiläen immer ein wenig der Geruch des „Bis hierhin hab’ ich’s immerhin geschafft!“, also etwas Bemitleidenswertes anhaftet, sondern auch noch nie mit der periodischen Änderung meines Lebensalters, die ich deshalb auch nicht zum Veröffentlichungstermin eines digitalen Leistungsnachweises benutzen werde. Die Leute sind vor jeglichen Jubiläen sicher und meine Werke erscheinen anlasslos, einfach, wenn sie fertig sind, was mich sehr freut.

Vier „Erfolgsprogramme in voller Länge“ plus Dreingaben finden sich auf deiner aktuellen Doppel-DVD. Findet sich da ein Programm darunter, das dir aus einem bestimmten Grund besonders ans Herz gewachsen ist?
Nein, ich mag sie alle. Sie kamen unvermutet auf mich, begleiten mich seitdem wie gute Freunde, sichern meinen Lebensunterhalt und bringen mich zum Lachen. Das schaffen nur wenige und mehr kann man doch nicht wollen.

Du bist als sehr wortgewaltiger Kabarettist mit einer bemerkenswerten, zum Teil das Publikum erschreckenden Intonation bekannt und mit einer enormen Präsenz auch in Sachen Mimik und Gestik. Wie und wo probierst Du diese besondere Darstellungsweise aus?
Halt’ Dich fest: Auf der Bühne. Im richtigen Leben würde derartiges Benehmen sicher in eine wie immer behütete Umgebung führen und das mit Recht. Übrigens hat das Wort „gewaltig“ in „wortgewaltig“ eigentlich nicht das Geringste zu suchen, da unfallfreies und varietätenreiches Sprechen schön und angenehm ist und damit das klare Gegenteil von Gewalt.

Den Menschen (natürlich ohne die Präposition „Von…“ davor!), die deine Vorstellungen besuchen, verlangst Du viel mehr ab, als andere Künstler, nämlich sich nicht nur unterhalten zu lassen, sondern sich voll auf deine Worte und Sprache zu konzentrieren, um ja nicht z.B. Wortspiele zu verpassen. Wer platte Unterhaltung will, ist also bei Malmsheimer weiterhin fehl am Platz?
Bei mir war noch nie jemand fehl am Platz, es sei denn, er oder sie hätten sich im Datum geirrt. Wer zu mir in die Vorstellung kommen mag, ist herzlich willkommen, so der Wille zum Amusement und die Bereitschaft, dieses von mir auf meine Weise installieren zu lassen, vorhanden ist. Näheres regelt ein Bundesgesetz.

Du bist auch auf politischen Kabarett-Bühnen zu erleben. Mir scheint allerdings, das ist nicht die Umgebung, in der Du dich am wohlsten fühlst.
Wenn Du damit meinst, dass ich kein politischer Kabarettist bin, dann ist das zum Teil sogar richtig. Tagesaktuelle Parteipolitik interessiert mich nicht, ich beschäftige mich, neben vielem anderen, besonders mit Kommunikation im näheren und weiteren Sinne, was ich im Übrigen für eminent politisch halte, aber eben mit dem politischen Tagesgeschäft nichts zu tun hat und deshalb auch nicht mit dessen Kabarett.

Du legst auch, so scheint es mir, viel Wert darauf, nicht als Künstler mit einem regionalen Bezug verstanden und erkannt zu werden. Was an deinem Auftreten, meinst Du, ist dennoch typisch Ruhrgebiet?
Nichts.

Gerade die Ruhrgebietler und besonders die Bochumer hoffen auf eine Fortführung deiner wiederaufgenommenen Zusammenarbeit mit Frank Goosen. Wird es dazu kommen und wenn ja, wann ist mit einem erneuten »Tresenlesen« zu rechnen
Es war dazu gekommen, es ist dazu gekommen und es wird wieder dazu kommen, so viel steht fest. Es war für uns eine unglaublich bewegende und schöne Erfahrung und das Allerschönste war, dass mir zum ersten Mal wirklich klar geworden ist, wie vielen Menschen das, was wir damals aus reiner Freude am Lesen und Spielen taten, offenbar sehr wichtig war und sehr viel bedeutet hat. Das hat mich sehr gerührt und bewegt und Frank genauso, denke ich. Deshalb werden wir Gelegenheiten finden, wieder Spaß zusammen zu machen. Die nächste Staffel im Rahmen der Reihe „Größen ausse Gegend“ ist bereits vorbereitet und geht Mitte Juni ins Netz, wem auch immer. Ich freue mich sehr.

Die aktuelle Situation eröffnet Dir zumindest die Zeit, in aller Ruhe an einem oder mehreren neuen Programmen zu arbeiten oder fehlt Dir zu Hause dazu die Inspiration, die Dir die Beweglichkeit und Freiheit draußen eher eröffnet?
Angesichts der Seuche fehlt mir vor allen Dingen die Seelenruhe, mir etwas auszudenken. Ich brauche einen Rückzugsraum in der Normalität, damit mir etwas Komisches einfällt. Danach sieht es zur Zeit nicht aus.

Wie sehr setzt Dir die Corona-Zeit mit ihren Einschränkungen, sowohl persönlich, wie auch künstlerisch zu?
Ich bin privilegiert und habe Haus und Garten. Ich bin den ganzen Tag draußen, komme nur zum Schlafen rein und wenn jemand, der ständig mit anderen Leuten zusammen ist, mal niemanden treffen darf, dann ist das direkt eine Erholung. Allein die Bühne fehlt mir sehr.

Welche persönlichen Erkenntnisse hast Du aus der Krise gezogen? Hat sie deinen Blick auf Mensch, Gesellschaft und Politik verändert?
Ich merke, wie wenig ich zum Glücklichsein brauche und dass kein Gedanke, keine Ansicht, keine Überzeugung, keine Vorstellung abwegig, blöde, schwachsinnig und debil genug ist, als dass sie nicht doch irgendein Intellektpygmäe geifernd aufgreift und sie über die sozialen Hetzwerke in die bereits vorsorglich geleerten Schädel von Menschen, deren Lebensziel „Follower“ ist, erbrechen würde. Das freut mich nicht.

Vielen Dank für das Gespräch und weiterhin hoffentlich gute Gesundheit und Zeit für kreatives Schaffen!
Das wünsche ich mir auch. Ich bedanke mich und wünsche allen Lesern reichlich vom Besten.

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